Nachdem wir bereits einen Blick darauf geworfen haben, ob und wann soziale Innovationen tatsächlich Armut reduzieren können (siehe dieser Blogpost), soll es in diesem Beitrag darum gehen, welche Praxisbeispiele es bereits in den benannten Bereichen von sozialen Innovationen gibt.
Werfen wir doch einen Blick auf einige ausgewählte soziale Innovationen in den Feldern, in denen ein Beitrag zur Armutsreduzierung möglich ist.
Die Tata Gruppe in Indien wollte zeigen, dass die Privatwirtschaft eine bessere, günstigere und kundenorientiertere Lösung für sauberes Trinkwasser finden kann als der Staat. Das Ganze in einem Land, in dem 75 Prozent der ländlichen Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.
2009 wurde daher der "Tata Swach" (Swach bedeutet in Hindi "sauber") auf den Markt gebracht. Hierbei handelt es sich um den weltweit kostengünstigsten Wasserreiniger, der kein fließendes Wasser oder Strom benötigt und damit für die ärmere Bevölkerung gerade auch im ländlichen Indien erschwinglich ist.
Die innovative Technologie, die Einfachheit der Anwendung und das Preis-Leistungs-Verhältnis wurde weltweit vielfach ausgezeichnet, zudem erfüllt es die Standards der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde. Mit dieser Lösung kann sauberes Wasser zu einem sehr geringen Preis gereinigt und ohne Sorge vor gesundheitlichen Konsequenzen getrunken werden.
Ein wichtiges Tool auf dem Weg zur Einkommensgenerierung sind Mikrokredite. Diese werden besonders gerne von potenziellen Unternehmern angefragt, um ihr Geschäft aufbauen zu können wenn sie nicht die formellen Voraussetzungen für einen Kredit erfüllen. Die Mikrokredite wurden zunächst von wenigen ausgewählten Banken angeboten. Mittlerweile bieten sie auch immer mehr Banken an.
Eine Studie über die Auswirkungen von Mikrofinanzierungen in Bangladesch auf die Armutsbekämpfung kommt zu dem Schluss, dass die Armut im betrachteten Zeitraum von 49 auf 40 Prozent zurückging, während die Beteiligung an Mikrofinanzierungen um 62 Prozent zunahm (Kotikula et al., 2010). Dabei ging Armut insbesondere in den Gebieten stärker zurück, in denen ein höherer Zugang zu Mikrofinanzierungen bestand.
Eine weitere Studie zeigte, dass 91 Prozent der Kreditnehmer angaben, dass Mikrokredite auf Grund neuer Formen von Einkommensmöglichkeiten ihren Lebensstandard deutlich verbesserten (Latifee 2003).
Mikrokredite helfen also Haushalten dabei, finanzielle Ressourcen zu erhalten, die ihnen sonst eher verwehrt geblieben wären, mit dem Ziel, dass sich auch ärmere Bürger in der formellen Wirtschaft beteiligen können.
Die private Investitionsgesellschaft "LeapFrog Investments", die 2008 vom früheren US-amerikanischen Präsident Bill Clinton ins Leben gerufen wurde, konzentriert sich ausschließlich auf Mikroversicherungen in einkommensschwachen Märkten in 35 Ländern in Afrika und Asien.
Seit ihrem Start vor zehn Jahren hat sie mittlerweile über 160 Millionen Geringverdiener erreicht - ein Großteil erhält zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt Zugang zu Versicherungen, Ersparnissen, Renten, Krediten und Gesundheitsversorgung.
Das Unternehmen bezeichnet ihren Ansatz als "Profit with purpose", weil er Wachstum ermöglicht und gleichzeitig so viele Leben verändert. Führende globale Investoren haben bereits über 1,5 Milliarden US Dollar in LeapFrog investiert.
Werfen wir einen Blick auf Reuters Market Light (mittlerweile RML Information Services), die 2007 in Indien gegründet wurden. Denn gerade den Landwirten - eine besonders wichtige Säule der indischen Wirtschaft - fehlte es oftmals an zuverlässigen Informationen und Wissen, um ihre Ernteerträge verbessern zu können und schlussendlich bessere Verkaufspreise zu erzielen.
Landwirte erhalten zu einem geringen Betrag Echtzeit-Informationen zu den aktuellen Erntepreise auf den umliegenden Märkten. Diese Informationen machen sie unabhängig von Zwischenhändlern und stärken sie als eigenständige Unternehmer.
Mit Zugang zu diesen Diensten können sie bessere Entscheidungen treffen, die einen großen Einfluss auf ihre Produktivität und damit auf ihre Fähigkeit haben, Einkommen zu generieren, in ihre Betriebe zu investieren und ihre Produkte zu vermarkten.
Mit diesen aktuellsten Informationen und Datenanalysen rund um den Agrarsektor ist das Ziel, die Profite der einzelnen Landwirte deutlich zu erhöhen - und damit ihr Einkommen in fünf bis sieben Jahren zu verdreifachen.
Mittlerweile nutzen über 1,7 Millionen Landwirte in 50.000 Dörfern in 18 indischen Bundesstaaten diesen Service.
Seit 2016 baut und betreibt das Social Startup "Africa GreenTec" die ersten mobilen Solarcontainer für ländliche Regionen und Dörfer in Afrika, in denen keine Stromnetzanschlüsse möglich sind. Denn nach wie vor haben mehr als 600 Millionen Menschen in Subsahara-Afrika keinen Zugang zu Strom.
Mit einem Solarcontainer lässt sich nicht nur bis zu 50 Tonnen CO2 einsparen, er ist innerhalb von 48 Stunden aufgebaut und so flexibel, dass er auch schnell auf Nachfrageschwankungen, Krisensituationen oder klimatische Veränderungen reagieren kann. Haushalte können schnell angeschlossen werden - die Abrechnung erfolgt ganz einfach per Handy.
Doch zum Angebot des Social Business gehört mehr: Über jeden aufgestellten Solarcontainer werden Arbeitsplätze und damit eine Grundlage für die wirtschaftliche Weiterentwicklung geschaffen. Zudem erhält die lokale Bevölkerung Schulungen zu effizienter Stromnutzung.
Das soziale Geschäftsmodell setzt auf private Investitionen und ein wirtschaftlich tragfähiges, skalierbares Geschäftsmodell, um eine soziale, nachhaltige und wirtschaftliche Stromerzeugung zu ermöglichen. Mittlerweile hat Africa GreenTec in 17 Dörfern bereits 100.000 Menschen erreichen können.
Es ist ein sehr merkwürdiges Phänomen: Coca-Cola scheint selbst in schwer erreichbaren Gebieten in jedem abgelegensten Dorf der Welt anzukommen - lebensrettende Medikamente und weitere wichtige Produkte des Alltags sucht man jedoch oftmals vergebens.
Darauf baut die pfiffige Idee von ColaLife. ColaLife ist eine soziale Organisation, die im Jahr 2008 gegründet wurde, um medizinische Produkte über die Vertriebskanäle von Coca-Cola in entlegene Gebiete zu liefern.
Ein so genannter "AidPod" ist so konzipiert, dass er genau zwischen die Cola-Flaschen in eine Kiste passt, ohne ein Stapeln der Kisten zu beeinträchtigen. Jedes dieser AidPods erhält Orale Rehydrationssalze (ORS) und weitere wichtige medizinische Produkte wie Zink bei Durchfall von Kindern - denn nach wie vor sterben etwa 500.000 Kinder an Durchfall pro Jahr, das ist etwa ein Kind pro Minute.
Lokale Unternehmen können den AidPod zudem nutzen, um erschwingliche Produkte für die letzte Meile anzubieten, also um Konsumenten in den entlegensten Gebieten zu erreichen. Coca-Cola kann durch die Arbeit unabhängiger kleiner Unternehmen, die pro ausgelieferter Kiste bezahlt werden, Produkte auf kostengünstige Weise an die entlegensten Orte liefern.
Jeden Tag werden allein schon in einem kleinen Land wie Sambia 20.000 Coca-Cola-Kisten verteilt. Die Verteilung von fünf AidPods pro Kiste ermöglicht damit bis zu 100.000 AidPods pro Tag in einem einzigen Land. Bis Ende des Jahres 2019 wurden bereits 1,2 Millionen AidPods hergestellt.
Dieser Blogbeitrag basiert auf dem folgenden Artikel:
Nari Kahle, Anna Dubiel, Holger Ernst, Jaideep Prabhu: "The democratizing effects of frugal innovation. Implications for inclusive growth and state-building"
Erschienen im Journal of Indian Business Research 5 (4) 2013, S. 220 - 234 und mit dem Preis „2014 Highly Commended Paper“ des Emerald Verlags ausgezeichnet.