Unsere Welt ist vernetzt wie nie. Die Digitalisierung verändert fast alle unsere Lebensbereiche auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Ebene. Überall dort, wo Digitalisierung mit dem Ziel Gutes zu bewirken eingesetzt wird, hat sie damit eine noch nie dagewesene Macht, unser Leben positiv zu verändern.
Einige sprechen von digitalen sozialen Innovationen, die anderen von „Tech for Good“. Welchen Namen man auch bevorzugt, fest steht, dass es eine zunehmende Zahl von Menschen gibt, die daran glauben, dass Digitalisierung und Technologie zum Wohle der Menschen eingesetzt werden kann.
Die über technologische Lösungen nachdenken, stets verbunden mit einem sozialem Zweck. Über digitale Tools, die Menschen das Leben erleichtern. Vielleicht sogar, um soziale Probleme und Herausforderungen lösen zu können.
Sicher nicht alle. Aber durchaus mehr, als man vielleicht vorher dachte?
Es gibt zahlreiche Apps und Dienstleistungen, die einen sozialen Mehrwert generieren (siehe auch den Blogpost zu sozialen Innovationen).
Ob es Spenden-Apps sind oder Tools, die das gesellschaftliche Engagement in eine digitale Welt überführen.
Oder auch Suchmaschinen, die für jeden Klick auf eine Werbeanzeige Geld zur Baumpflanzung generiert, wie Ecosia es tut.
Kostenpflichtige SMS-Dienstleistungen beraten beispielsweise in der Agrarwirtschaft von Schwellen- und Entwicklungsländern zu Ernte- und Düngefragen und bieten weitreichende Wettervorhersagen wie auch tagesaktuelle Marktpreise für Landwirte.
Mobile Banking-Dienstleistungen bieten Bezahlmöglichkeiten an, ohne ein eigenes Konto besitzen zu müssen. So kann beispielsweise mehr als die Hälfte der kenyanischen Bevölkerung Zahlungen von Städten in ländliche Regionen transferieren ohne dafür reisen zu müssen. Auch Gehälter und Schulgelder können empfangen bzw. gezahlt werden, was eine große finanzielle Souveränität im Vergleich zur früheren Situation bedeutet. Die Themen und Möglichkeiten erscheinen schier grenzenlos.
Dass der 3D-Druck gerade im Themenfeld Medizintechnik eine enorme Wirkung entfaltet, kann man sich sehr gut vorstellen: Denn viele Millionen Menschen weltweit benötigen Sehhilfen, haben aber kein Geld für eine Brille. Nur die wenigsten haben einen Rollstuhl, obwohl sie einen benötigen. Und auch Prothesen werden finanzierbar und individualisierbar.
Der Traum des 3D-Druckens um gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen ist aber größer: Dass zukünftig günstige Häuser für obdachlose Menschen gedruckt werden können, benötigte Organe hergestellt und vielleicht sogar Essen aus einem Lebensmitteldrucker gedruckt werden kann. Gerade da, wo der Hunger am größten ist.
Trotzdem gibt es noch keine Lösung dafür, wie Missbrauch von 3D Druck verhindert werden kann. Dafür brauchen wir noch Antworten.
Auch Big Data und künstliche Intelligenz lassen viele neue und ungeahnte Möglichkeiten im Bereich soziale Innovationen zu.
Intelligente Vorhersagesysteme können schon heute den Ausbruch von Infektionskrankheiten berechnen, so dass frühzeitig und vor Ort Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Die Zahl der Erkrankungen kann damit deutlich reduziert werden.
In Gesundheitsprojekten in ländlichen Regionen werden regelmäßig über einfache Handys Daten von Patienten gesammelt, beispielsweise zum HIV-Virus und in großen Mengen ausgewertet.
Künstliche Intelligenz kann sich aber auch in zahlreichen anderen Feldern, wie der Katastrophenhilfe, Abschätzung von Kindesmisshandlung oder auch in der Flüchtlingshilfe einen großen Beitrag leisten.
Dabei muss aber konsequent darauf geachtet werden, dass die eigenen Daten nicht der neue Preis dafür sind, der für kostengünstige oder sogar lebenswichtige Versorgung zu zahlen ist.
Soziale Innovationen müssen gerade hier eine Verantwortung übernehmen, in der ein sozialer Zweck sicherlich nicht automatisch alle Mittel heilt.
Sicherlich ist die Drohne eine der am umstrittensten Technologien. Schnell macht man sich Sorgen um Spionage, um Überwachung, um Kollisionen mit Flugzeugen oder Missbrauch. Und vielleicht denkt man sogar an gesetzliche Rahmenbedingungen, die den aktuellen technischen Entwicklungen kaum hinterher zu kommen scheinen. Im schlimmsten Falle vielleicht sogar auch an neue Formen von unbemannter Kriegsführungen.
Drohnen können aber auch zweifelsohne einen großen Mehrwert liefern. Sie helfen der Landwirtschaft festzustellen, wo Flächen nachbewässert werden müssen. Drohnen können im Falle von Naturkatastrophen schnell, zuverlässig und sicher Daten darüber liefern, wie verheerend das Ausmaß der Katastrophe ist und vielleicht sogar übermitteln, ob noch Menschen zu retten sind. Drohnen können den für die Koordination wichtigen Handyempfang in Erdbeben-Gebiete bringen. Oder auch Medikamente, Blutspenden und Organtransporte auf schnellstem Wege dorthin bringen, wo sie am dringendsten benötigt werden.
Die Blockchain Technologie ist sicherlich diejenige, die besonders hohe Erwartungen weckt. Kann sie wirklich fast jede Industrie auf den Kopf stellen und den Weg verändern, wie Menschen, Systeme und Regierungen interagieren?
Wenn Blockchain Mittelsmänner überflüssig macht und jede*r mit jeder*m sichere Transaktionen durchführen kann - mit vollkommener Transparenz - liegt sicherlich der Gedanke nahe, dass mögliche Korruption deutlich verringert werden kann und auch hohe Provisionen für die Vermittlung von Informationen oder Waren zukünftig entfallen werden. Man kann von sichereren Wahlen ausgehen und Abstimmungen, die nicht zu fälschen sind. Von Spenden, die ohne Währungsverluste bei Begünstigten ankommen.
Man kann aber auch in eine andere Richtung denken. Legale Identitäten können sicher abgelegt werden. Für Flüchtlinge aber auch Opfer von Identitäts-Diebstählen gibt es nun die Möglichkeit, ihre eigene Identität nachzuweisen.
Und gerade in der Lieferkette hilft Blockchain dabei, Produkte systematisch nachzuverfolgen. Bio- und Fairtrade-Produkte können einzeln ab ihrer Herkunft bestimmt werden. Bei Medikamenten lässt sich eine lückenlose Kühlung nachweisen.
Nach wie vor halte ich digitale soziale Innovationen für ein Wundermittel der heutigen Zeit - aber eben auch mit Grenzen. Für einige soziale Herausforderungen werden wir sicherlich noch andere - auch analoge - Lösungen finden müssen.
Und wir dürfen nicht die wichtigsten Voraussetzungen für gesellschaftliche Technologie-Lösungen vergessen: Infrastruktur, Hardware und Bildung, um den richtigen Umgang mit Daten, Informationen aber auch der Technologie an sich zu lernen.
Wir müssen schnellstmöglich die öffentliche Debatte über neue Anforderungen an ein digitales Ethikverständnis erweitern und vertiefen. Denn bei allen Chancen durch neue Technologien für unsere Gesellschaft weltweit brauchen wir klare Leitlinien und Parameter, die uns helfen einzuordnen, für welche Zwecke wir bereit sind, Technologien einzusetzen und für welche nicht.
Das bedeutet auch sehr klare Grenzen zu ziehen und sich darauf zu verständigen, dass nicht jedes Technologiepotential auch genutzt werden muss, nur weil es technisch möglich ist.
Es bedeutet, dass wir Digitalisierung im Sinne des Gemeinwohls nutzen wollen.
Wir müssen aber auch über eine Folgenabschätzung sprechen sowie über das Prinzip unserer Verantwortung und wie weit wir dafür gehen wollen.
Doch wenn die Digitalisierung weiter so voranschreitet, wenn Schwellen- und Entwicklungsländer weiter bisherige Technologiestufen überspringen und uns mit mobilen Applikationen und Technologien sogar voraus sind, wenn immer mehr Menschen sich darüber Gedanken machen, wie sich Technologien für Gutes einsetzen lassen - dann bin ich von dem gigantischen Potential überzeugt, das entsteht wenn Digital auf Sozial trifft.
In welcher Form auch immer.
(Beitrag auch erschienen auf LinkedIn am 29.07.2019)